Der Treuhänder

Russlands Interessen

Das Interesse des Russischen Staates wird durch seine Geschichte geprägt, nicht durch das Politische System. In der langen Geschichte Russlands wurde das Land von allen Seiten durch Invasoren bedroht und erobert. Perser, Mongolen, Schweden, Frankreich und schlussendlich das Dritte Reich versuchten Russland zu erobern und waren dabei zeitlich begrenzt mal mehr, mal minder erfolgreich. Diese Geschichte aus allen Himmelsrichtungen einer Bedrohung ausgeliefert zu sein prägt das Interesse und damit die Außenpolitik Russlands. Sei es nun unter den Zaren, den Soviets oder nun unter dem System Putin, die Geographische Lage Russlands prägt das Verhalten Moskaus gegenüber seinen Nachbarn und darüber hinaus. Es ist die Angst vor einer Umzingelung und die damit verbundene Gefahr einer Invasion die das Verhalten Moskaus bestimmen. Das Ziel der Russischen Außenpolitik ist es eine Umzingelung zu vermeiden und sich damit Optionen offenzuhalten.

Lage Russlands

  • in der Geschichte von allen Seiten Bedroht und einer möglichen Umzingelung ausgeliefert
  • es stehen nur begrenzte Mittel zur Verfügung, deren Umfang direkt vom Energiepreis abhängig ist
  • traditionelle Landmacht, da sie das Zentrum des von Sir Halford Mackinder definierten Heartlands darstellen

Zur Verfügung stehende Mittel mit deren Hilfe die Peripherie und weitere Gebiete beeinflusst werden können sind:

  1. Energielieferungen oder Investitionen im Energiebereich
  2. Rüstungsexporte
  3. Getreide Exporte
  4. fähige Geheimdienste
  5. Diplomatie
  6. Söldner (Wagner Gruppe)
  7. Militär

Das Ziel Russlands ist es wie oben schon festgestellt eine Umzingelung und damit die Gefahr einer Invasion zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen muss Russland:

  • seinen Einfluss auf die Peripherie nicht nur behalten, sondern ausbauen, um so eine Pufferzone zu schaffen. Nicht nur in Zentralasien, sondern auch bei den Skandinavischen Ländern, dem Baltikum, Zentral- und Osteuropas. Insbesondere die Staaten des Baltikums, Zentral- und Osteuropas genießen besonderes Interesse. Auch wenn sie vielleicht nicht erneut direkt an Moskau gebunden werden können, wäre es für Russland schon ein Erfolg, wenn sie aufgrund von wachsenden Druck sich von der NATO und der EU Distanzieren müssten.
  • an strategischen Punkten entlang bedeutender Handelsrouten und Märkten seinen Einfluss sichern (Krim, Syrien, Libyen, Zentralafrikanische Republik, Sudan, etc.) um so auf der Internationaler Bühne ein Mitspracherecht einfordern zu können und der Umzingelung zu entgehen.

Aufgrund der realen Gefahr einer Umzingelung und der damit verbundenen Gefahr einer Invasion ist die Arbeitsgemeinschaft mit China voraussichtlich zeitlich begrenzt. Schon allein, weil China Ansprüche auf Sibirien erhebt. Beide Staaten arbeiten in manchen Bereichen zusammen und in anderen nicht. Ein Bereich der von beiden angegriffen wird ist die bestehende Internationale Ordnung, mit dem Ziel die Welt für Autokraten sicherer zu machen. Wohingegen beide Staaten in Afrika und Zentralasien in Konkurrenz stehen.

Um seinen Zielen näher zu kommen unternimmt Russland mit seinen zur Verfügung stehenden Mitteln (1-7) unteranderem folgendes:

  • Zersetzung der Internationalen Ordnung
  • sähen von Chaos durch Cyber Angriffe, Politische Kriegsführung, Stellvertreter Kriege, etc. (führt regelmäßig zu steigenden Energie Preisen, was natürlich die zur Verfügung stehenden Ressourcen mehrt. Aktuell unteranderem Kaukasus, Libyen, Syrien und rund um Bab al-Mandab). Einfach gesagt: die praktische Anwendung der Gerasimov Doktrin. Es ist günstiger Chaos zu sähen, als Ordnung zu schaffen.
  • das besetzen von strategisch wichtigen Punkten
  • Unterstützung von Verbündeten

Der Russischen Regierung wird es außerordentlich bewusst sein, dass die wahre Gefahr für das Vaterland nicht von Europa ausgeht, sondern von China. Deshalb wird es für Moskau wichtig sein in den kommenden Zehn Jahren ihrem Ziel in der westlichen Peripherie so nah wie nur möglich zu kommen, um dann im Gegenzug Europa und den USA in der Causa China zu helfen. Sie müssen also in einem zeitlich begrenzten Rahmen ihre eigene Position stärken, die des Westens schwächen, sodass dem Westen nichts anderes übrig bleibt als die Ziele Russlands in Bezug auf die entsprechenden Staaten Europas zu respektieren. Erst dann wird sich Moskau freiwillig der Eindämmung von der Volksrepublik Chinas anschließen.

Im Gegenzug muss der Westen unter Führung des Hegemons auf Zeit spielen um die Russische Strategie zu durchkreuzen. Dazu müssen a) zwei der wichtigsten Russischen Werkzeuge Iran und Venezuela neutralisiert werden, b) Investitionen und Sicherheit dem Baltikum, Zentral- & Osteuropa, Mittleren Osten und Afrika zukommen lassen und c) das sogenannte Rimland (Prof. Nicholas J. Spykman) gehalten werden. Es sind Dinge die nur mit der festen Führung durch die USA erreicht werden können.

Evolution der NATO in Europa

Die NATO & EU Staaten wurden durch die falsche Annahme vom Ende der Geschichte getäuscht. Die USA gingen mit den Out of Area Einsätzen voran dicht gefolgt von Großbritannien. In folge dieser Neuausrichtung und beschleunigt durch 9/11 wurden auch die Europäischen Armeen verkleinert und vieler ihrer Kernfähigkeiten beraubt. Es kam vielen Europäischen Staaten gelegen, dass sie ihre Armeen verkleinern und damit viele Fähigkeiten abbauen konnten. So konnte bei den Verteidigungsausgaben viel Geld gespart werden. Die zur Verfügung stehenden Ressourcen sind nun mal begrenzt und es war innenpolitisch opportun diese anders zu verwenden, besonders da die Illusion einer funktionierenden Landesverteidigung beibehalten werden konnte.

Artikel III geriet in Vergessenheit und die Erinnerung an die im Artikel festgehaltene Verpflichtung kam erst mit der Anektion der Krim durch Russland zurück. Das Naive Weltbild, geprägt durch den Aufsatz „Das Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama, geriet ins wanken. Aufgrund der Missachtung des Artikel III wurde in den vergangenen Jahren auch Artikel V in Frage gestellt. Das wird zwar gern der Regierung Trump in die Schuhe geschoben, doch so einfach ist es nicht. Innerhalb einer Allianz werden sich die Lasten geteilt, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Wenn jedoch viele der Allianz Mitglieder nicht mehr in der Lage sind effektiv für ihre eigene Landesverteidigung und Bündnisverteidigung Sorge zu tragen, so steht automatisch Artikel V in Frage. Die mangelnden Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder sind es, die die NATO in Frage stellen.

Evolution führt zu Koalition der Willigen

Nur zwei Staaten Europas haben ihre Armeen, wenn auch stark reduziert, Einsatzfähig gehalten, diese sind Frankreich und Großbritannien. Während Frankreich an allen Flanken der EU & NATO aktiv ist (Nordefco (Manöver Teilnahme), Baltische Staaten (Teilnahme an den verschiedenen Taskforces), Griechenland (Türkei) und Afrika (Terrorismus Bekämpfung)), so konzentriert sich Großbritannien primär auf die Zusammenarbeit mit der Nordefco und sekundär mit der Southdefco. Im Gegensatz zu der Southdefco ist die Nordefco bereits Institutionalisiert. Sie setzt sich aus den folgenden Staaten zusammen, welche zum Teil Mitglieder der NATO sind, andere nur Teil der EU und ein Mitglied keiner der beiden Organisationen angehört: Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden.

Insbesondere am Beispiel der Nordefco kann man erkennen, dass sich innerhalb der NATO Koalitionen der Willigen bilden, welche auf die Koordinierungsfähigkeiten der NATO setzen. Dazu zählen unteranderem einheitliche Ausrüstungsstandards, aufeinander abgestimmte Command and Control Fähigkeiten und gemeinsame Übungen, sodass vorhandene Infrastruktur gemeinsam effizient genutzt werden kann. Das F35 Netzwerk ist hier ein guter Anhaltspunkt. Die Staaten, welche die F35 schon einsetzen oder signalisiert haben sie beschaffen zu wollen, können auf eine gemeinsame Infrastruktur und Lieferkette zurück greifen. Damit ist das F35 Netzwerk ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Bildung von Koalitionen, da offensichtlich gemeinsame Interessen existieren. Innerhalb Europas stellt Großbritannien das Zentrum des F35 Netzwerks dar, eine Tatsache die durch den BREXIT nicht beeinflusst wird.

Auf der Nordflanke der EU & NATO, die bis zu den Baltischen Staaten reicht, ist es die neue Destruktive Aktivität Russlands, die die Staaten zu Koalitionen zwingt. Russland hat nicht nur die Krim annektiert, sondern betreibt auch Aktivitäten in Richtung Politische Kriegsführung, Cyberangriffe und wenn nötig Hybride Kriegsführung gegenüber seinen Nachbarländern. Die Länder der Nordflanke, wie auch die des Zentrums (insbesondere Polen, im Gegensatz zu Ungarn das sich eher wie ein Trojanisches Pferd verhält) erfahren Tagtäglich die Gefahr, die von Moskau ausgeht. Wohingegen Deutschland diese Ansicht nicht in Gänze vertritt und damit Vertrauen verspielt. Eine Entwicklung die wahrscheinlich durch den Bau von Nord Stream 1 und 2 verstärkt wird. Damit ist es nicht verwunderlich, dass Polen weniger mit seinem direkten Nachbarn im Rüstungssektor und der Verteidigung zusammenarbeitet, sondern sich vornehmlich auf die USA konzentriert und damit auch mit der Nordefco, ohne größeren Aufwand, zusammenarbeiten kann.

Deutschlands Verhalten frustriert wahrscheinlich unsere Alliierten. Bisher wird jede Ernsthafte Politische Diskussion über die Notwendigkeit einer funktionierenden Landes- und Bündnisverteidigung durch das verantwortungslose Taktieren der Politischen Parteien verhindert. Das schadet dem Ansehen des Landes und ist nicht im strategischen Interesse der Bundesrepublik Deutschlands. Dieses Verhalten der Parteipolitiker gefährdet sogar langfristig die Integrität der EU, der NATO und damit die der BRD selbst (vgl. dazu Interview mit Dr. Andrew Dennison in „Return of Direct Defense to Europe“:“If Germany became a nation isolated in a disaggregating Europe, Germany itself might disintegrate as a political Force„). Die Verteidigungsbereitschaft fängt mit dem Politischen Willen dazu an.

Neue Konflikte auf der Südflanke beschleunigen die Evolution

Auf der Südflanke ist es unteranderem die Türkei, selbst ein Mitglied der NATO, die der Allianz Probleme bereitet. Hier sind viele Fehler passiert die letztendlich dazu geführt haben, dass die Türkei die eigenen Interessen Militärisch durchsetzt. Der Ausschluss der Türkei aus dem Mittelmeer Gas Forum, wie auch der Schutz der Kurden Gebiete durch die USA und einigen anderen NATO Staaten, sind wahrscheinlich zwei der Gründe gewesen, die die Türkei von der NATO und EU entzweit haben. Nicht nur dass sie von dem neuen Ressourcen Reichtum der Region mehr oder minder ausgegrenzt wurde, es besteht auch langfristige gesehen die Gefahr einer Aufspaltung der Türkei aufgrund der Entstehung Kurdistans. Das sind Entwicklungen die die Türkei zu ihrem Handeln zwangen. Darüber hinaus war das widererstarken Russlands in der Region von Bedeutung, da dadurch Türkische Interessen beeinflusst wurden und werden. Durch das Macht-Vakuum in Libyen und Syrien erhielt Russland die Chance sich erneut als verlässlicher Sicherheitspartner in der Region zu platzieren und unumgänglich zu machen.

Der neue Ressourcen Reichtum der Region, die schon bestehenden und noch kommenden Handelsrouten (Europa-Afrika Wirtschaftskorridor) befördert durch die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas führen zu einer neuen Dynamik, welche die bisherige Ordnung des Mittelmeer Raumes in Frage stellt. Griechenland ist hier für Europa von Zentraler Bedeutung und wird leider zu oft ignoriert. Der Staat wird aktuell gezwungen sich neu zu orientieren. Im Sommer diesen Jahres kamen nur die Vereinigten Arabischen Emirate (Beistandsbündnis mit Griechenland), Frankreich und die USA Griechenland zu Hilfe. Im Gegensatz dazu hängen Deutschland, Italien und Spanien noch zu sehr an den Wirtschaftlichen Beziehungen mit der Türkei. Im Fall Italiens spielt neben den Exporten auch die Lage in Libyen mit hinein, da ENI dort ein sehr großes Engagement hat und via Sizilien Handelsrouten nach Afrika hinein möglich sind. Spanien selbst ist mit seinen Banken stark in der Türkei engagiert und ist dadurch wahrscheinlich erpressbar, wohingegen Deutschland seinen Exportmarkt Türkei nicht gefährden möchte, da dieser um ein vielfaches größer ist, als der Griechische. Außenpolitik ist halt auch immer Handelspolitik und da zählt dann letztendlich das Export Volumen. Zusätzlich wird die EU selbst durch Erdogan in Sachen Flüchtlingsströme erpresst, da die Türkei via Syrien und Libyen einen direkt Einfluss auf diese hat. Unannehmlichkeiten die dazu führten, dass die EU kaum Anstoß daran nimmt, dass ihr Territorium durch das Handeln der Türkei in Frage gestellt wird. Welche Rückschlüsse Moskau wohl daraus ziehen wird?

Insgesamt verlaufen die Konflikt Linien im Mittelmeerraum und Nordafrika entlang folgender Linie:
Türkei, Iran / Qatar, Russland (Russland arbeitet mal mit, mal gegen die Türkei) und China (arbeitet mal mit, mal gegen Russland, je nach Region) vs. Griechenland, Israel, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate und Frankreich (ob die USA ihr Engagement unter der kommenden Regierung Biden ausbauen werden um dem DragonBear entgegenzuwirken, ist bisher fraglich)

Für die weitere Entwicklung des Mittelmeerraums wird es wahrscheinlich entscheidend sein, zu welcher Seite Italien am Ende halten wird. Es ist für alle Staaten eine nicht einfache Grad Wanderung. An dieser Stelle muss die EU und auch die NATO darauf achten, dass nicht Russland es so geschickt spielt, dass am Ende Ägypten, Griechenland, Italien und Frankreich gezwungen sein werden mit Russland zusammenzuarbeiten, um den Türkischen und Chinesischen Einfluss in Nordafrika und darüber hinaus zurück drängen zu können. Das wäre für Russland ein immenser Erfolg, da eine solche Entwicklung automatisch die EU weiter von den USA entfernen würde. Die direkten Strategischen Interessen der EU und den USA würden hier unterlaufen. Russland würde einen weiteren Hebel gegenüber der EU besitzen, der natürlich auch eingesetzt würde. Die dadurch zunehmenden Möglichkeiten zur Bedrohung von den wirtschaftlichen Interessen (Handelsrouten, Energie, Lieferkette der Autoindustrie, Mineralien, Nahrung, etc.) verschiedener EU Mitglieder in Marokko, Algerien, Libyen, Ägypten, der Sub Sahel Zone bis hinunter zum Horn von Afrika gäbe Moskau einen großen Einfluss auf die zukünftige Außenpolitische Ausrichtung der EU. Moskau würde es damit schaffen den Großteil der EU Energieressourcen unter indirekte oder direkte Kontrolle zu bringen (Energie aus Russland, dem Kaukasus und Afrika, wie auch den Transport durch das Rote Meer / Suez Kanal (Marine Basen in Syrien & bald Sudan?). An dieser Stelle ist es Interessant, dass auf beiden Seiten der Straße von Bab al-Mandab erneut Stellvertreter Kriege angeheizt werden.

Flexible Koalitionen geeint durch Geopolitische Realitäten

Die EU Staaten, wie auch die EU selbst müssen sich bewusst werden, dass ihre Interessen durch Harte Realpolitik bedroht werden und dieser Entwicklung nicht mit netten Worten begegnet werden kann. Es muss ein gemeinsamer Koordinierungsansatz auf Ziviler Ebene innerhalb der EU gefunden werden, damit die einzelnen Staaten bei ihren Wirtschaftlichen Aktivitäten in Afrika koordiniert werden können. Daneben gilt das gleiche im Militärischen Bereich. Zum Glück sind hier schon einige NATO Staaten aktiv (vgl. dazu Multinationale Einsätze in Mali, Niger, etc.). Würde Frankreichs Bitte nach stärkerer Unterstützung erhört, so würde es wahrscheinlich der EU nutzen. Doch fehlt es immer noch an einer einheitlichen Strategie, die Investments in Infrastruktur, Industrie, etc. mit einem ernsthaften Sicherheitsangebot verbindet. Mithilfe einer einheitlichen Strategie, wenigstens innerhalb einer Koalition der Willigen, wären die EU und NATO in der Lage den Einfluss der DragonBear Arbeitsgemeinschaft in Afrika einzugrenzen. Die einzelnen Afrikanischen Länder würden es wahrscheinlich der westlichen Staatengemeinschaft danken, da sie so ein Gegengewicht zu dem Einfluss der DragonBear Arbeitsgemeinschaft schaffen könnten. Es wird spannend sein zu sehen, welche Koalitionen der Willigen sich am Ende herauskristallisieren wird.

Insgesamt zeigt die Entwicklung der NATO auf, was auch innerhalb der EU beobachtet werden kann. Durch die Geopolitische Realitäten werden Koalitionen von Willigen geformt, die ihre gemeinsamen Interessen im Zivilen-, Sicherheits- und Verteidigungsbereich vorantreiben werden, ohne auf die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten zu warten. Die Allianzen, Bündnisse und Supranationalen Organisationen werden und müssen flexibler sein, sodass sie effektiv mit den divergierenden Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten umgehen können, ohne davon zerrissen zu werden.

Probleme der EU beim Umgang mit Polen und Ungarn

Die Forderung zur Einhaltung der Rule of Law die mit dem Next Generation EU (NGEU) verknüpft wurde bringt Probleme mit sich.

  1. Die EU selbst unterliegt der Rule of Law, somit kann sie keinem Mitgliedsstaat (MS) und damit den direkten Rezipienten die Budgetzuteilung verweigern, da diese Befugnis nicht im EU Vertrag festgehalten ist.
  2. Deshalb verweist die EU Kommission (EUCO) immer auf affect or risk affecting the principles of sound financial management or the protection of the financial interests of the Union, da sie hier eine Handhabe hätte.
  3. Es ist für ein „Föderales“ Staatengebilde unüblich die Verteilung des Föderalen Budgets mit den von EUCO & Parlament formulierten Bedingungen zu verknüpfen. Für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit einzelner MS sind üblicherweise Gerichte zuständig. In diesem Fall ist es der ECJ.
  4. Durch zurückhalten des EU Budgets werden wahrscheinlich die schwächsten Gesellschaftsmitglieder des entsprechenden MS getroffen werden. Das EU Parlament hat zwar festgehalten, dass im Fall des Zurückhaltens die Mittel aus dem jeweiligen Staatshaushalt selbst aufgebracht werden müssen, doch das gleicht eher einem Feigenblatt. Es ist naiv zu glauben, dass diese Regelung den Betroffenen helfen kann. Woher soll ein armer Staat diese Mittel nehmen, ohne im Gegenzug gegen die EU Budget Regeln zu verstoßen?
  5. Die ärmeren MS sind von dieser Regulierung weit stärker betroffen, als die großen MS. Das Verhältnis der EU Budget Mittel zum Gesamthaushalt ist bei den ärmeren Staaten wesentlich größer als bei den reichen MS. Damit herrscht hier eine asymmetrische Machtverteilung.
  6. Die Formulierungen selbst sind sehr schwammig und können deshalb jeder Zeit politisch genutzt werden. ( aktuelle Fassung: https://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2014_2019/plmrep/COMMITTEES/BUDG/DV/2020/11-12/RuleofLaw-Draftconsolidatedtext_rev_EN.pdf ) Zusätzlich besteht ein Problem darin das „Experten“ zur Evaluierung der jeweiligen Lage in einem MS herangezogen werden sollen. Diese können abhängig von ihrer Finanzierung und weiteren Verflechtungen eine eigene bzw. fremde Agenda verfolgen. (vgl. dazu: „… a special panel of independent experts in constitutional law and financial and budgetary matters will assist the Commission in evaluating the situation in a Member State. … – Quelle: https://www.europarl.europa.eu/legislative-train/theme-new-boost-for-jobs-growth-and-investment/file-mff-protection-of-eu-budget-in-case-of-rule-of-law-deficiencies )

Die Verknüpfung von Next Generation EU mit den Bedingungen ist relativ unverständlich. So kann dieses Projekt nicht gestartet werden, da so keine Einstimmigkeit erreicht werden kann. Polen und Ungarn werden diesen Bedingungen wahrscheinlich nicht zustimmen und ihre Position verteidigen. Die EU hat hier wie beim BREXIT keinen Plan B. Die Kalkulation ging bisher daneben. Da die EU für ihre nicht vorhandene Flexibilität bekannt ist, gilt wahrscheinlich nun das Prinzip Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass kommende polnische und ungarische Regierungen es schon unterschreiben werden. Das Problem hierbei ist, dass in Ungarn 2022 die nächsten Parlamentswahlen anstehen und in Polen erst 2024. Wer hat in diesem Fall mehr Zeit: Die EU oder Ungarn und Polen?

Den starken MS geht es wahrscheinlich darum die eigene Macht zu stärken. Dieses angebliche Ringen um die Rule of Law ist nichts als ein weiterer innereuropäischer Machtkampf, bei dem die großen MS ein zusätzliches Machtmittel gegenüber den schwächeren MS etablieren wollen. Man kann es den Nettozahlern auf der einen Seite nicht übel nehmen, dass sie ein größeres Mitspracherecht durchsetzen wollen, doch auf der anderen Seite muss folgendes bedacht werden. Der Zusammenhalt im Schatten des BREXIT wird so nicht gefördert und die Gefahr wächst, dass Länder aus Ost- und Zentraleuropa im EXIT Großbritanniens etwas Nachahmenswertes sehen werden.